Interview mit Annalena Baerbock

Interview zur Bundestagswahl 2021

Das Interview mit der Bundestagskandidatin Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen) hat Lars Eichert (Haus & Grund Brandenburg) geführt.

Lars EichertEichert: Die Politik hat das Thema Wohnen als eines der wichtigen Themen ausgemacht. Insbesondere die Kosten des Wohnens sind in der Diskussion ein zentrales Thema. Kappungsgrenze, Mietpreisbremse und Mietendeckel sind die Stichworte hierzu. Wie stehen Sie und Ihre Partei zu Mietpreiseingriffen?

Annalena BaerbockBaerbock: Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Der starke Mietpreisanstieg treibt die soziale Spaltung voran. Insofern ist es eine politische Aufgabe, dem entgegenzuwirken – durch Wohnungsbau, durch eine neue Wohngemeinnützigkeit, und ja, auch gegen zu hohe Mieten. Wir wollen im Rahmen eines Gesamtkonzepts in einem Bundesgesetz gewährleisten, dass Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht werden und die Mietpreisbremse entfristet und deutlich nachgeschärft wird. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden. Wir wollen qualifizierte Mietspiegel stärken, rechtssicher ausgestalten und zur Berechnung die Mietverträge der letzten 20 Jahre nutzen. Ein pauschaler bundeseinheitlicher Mietendeckel würde aber der Situation in den einzelnen Regionen und Städten nicht gerecht.

Eichert: Anders als große Gesellschaften oder Konzerne können private Kleinvermieter Mindereinnahmen oder gar Verluste nur schwer kompensieren. Was halten Sie davon, die privaten Kleinvermieter bei den Mietpreiseingriffen auszunehmen?

Baerbock: Natürlich kann man nicht alle Vermieter über einen Kamm scheren, aber eine solche Regelung halte ich nicht für grundgesetzkonform auf Grund des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Wir wollen privaten Kleinvermietern daher rechtssicher und auf andere Weise helfen, indem wir sie zum Beispiel bei Sanierungen gezielter fördern und den Ländern ermöglichen, die Grunderwerbssteuer flexibel und gestaffelt zu gestalten. Dass sich große Gesellschaften über das Konstrukt von Share Deals vor der vollen Grunderwerbssteuer drücken können, während Kleinvermieter oder Selbstnutzer den vollen Satz bezahlen, ist nicht vermittelbar. Daher wollen wir Share Deals abschaffen.

Eichert: Die Landesregierung Brandenburg hatte für die Verlängerung bzw. Erneuerung der Kappungsgrenze und Mietpreisbremse Gutachten beauftragt. Ausweislich dieser Gutachten haben diese Instrumente keine oder höchstens marginale Auswirkungen auf die Entwicklung der Miethöhen, weil die Vermieter der Bestandswohnungen von sich aus bei den Mieterhöhungen noch unter diesen gesetzlichen Erhöhungsmöglichkeiten geblieben sind. Können Kappungsgrenze und Mietpreisbremse dann nicht im Grunde abgeschafft werden?

Baerbock: Nein, im Gegenteil. Die Mietpreisbremse wirkt nicht so, wie sie soll, weil es zu viele Ausnahmen gibt - beispielsweise bei Möblierungen. Wir wollen sie daher nachschärfen. Wenn viele Vermieter die rechtlichen Möglichkeiten der Mieterhöhung nicht voll ausschöpfen, ist das gut. Leider ist das nicht immer der Fall. Daher hilft die Mietpreisbremse, beispielsweise in Potsdam durchaus dabei Mietwucher einzudämmen.

Eichert: Vermieter, die Wohnungen zu einer Miete deutlich unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete vermieten, wird vom Finanzamt die Geltungmachung von Werbungskosten verwehrt. Müssten diese nicht im Grunde dafür belohnt werden, dass sie günstigen Wohnraum anbieten?

Baerbock: Wir wollen Vermieter belohnen, die günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen - mit der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit. Durch Zuschüsse und Steuervergünstigungen schaffen wir so dauerhaft bezahlbaren Wohnraum, und der Vermieter profitiert von einer attraktiven Förderung.

Eichert: Die Humboldt Universität hat vor kurzem eine Untersuchung veröffentlicht, die beispielsweise auch zum Potsdamer Wohnungsmarkt die klare Aussage machte, dass die Kaltmieten nicht das Problem seien, denn die Mieten seien weniger stark gestiegen als die Einkommen. Ist das Angebot an Wohnraum damit nicht vielmehr das Problem statt der Miethöhen?

Baerbock: Knapper Wohnraum ist ein großes Problem, und er lässt die Preise steigen. Es kommt aber auch darauf an, was gebaut wird. Noch eine Luxussiedlung am Wasser oder die schicke Stadtvilla mit Luxuswohnungen helfen den meisten Menschen wenig. Wir müssen wieder mehr in bezahlbaren und günstigen Wohnungsbau investieren. Auch Nachverdichtung hilft, weil dafür keine teuren Grundstücke erworben werden müssen. Es gilt, den vorhandenen Raum besser zu nutzen.

Eichert: Im Umfeld von Berlin und Potsdam gibt es eine große Nachfrage nach Wohnungen, aber wenig Angebote. Wie wollen Sie den Neubau von Wohnungen forcieren?

Baerbock: Mit der grünen Wohnraumoffensive wollen wir bezahlbare Wohnungen erhalten und eine Million neue günstige Mietwohnungen in Deutschland schaffen und auf Dauer sichern. Dafür wird ein Bundesprogramm Neue Wohngemeinnützigkeit in Höhe von drei Milliarden Euro im Jahr aufgelegt. Bei der Aktivierung von Bauflächen hilft das 100.000-Dächer-und-Häuser-Programm, das Zuschüsse für die Aufstockung von Gebäuden, den Ausbau von Dachgeschossen und der Wiedernutzung und Modernisierung leerstehender Gebäude vorsieht.

Eichert: Ein Problem für Neubau ist mangelndes Bauland. Ist das Baulandmobilisierungsgesetz in Ihren Augen der richtige Weg, um dies Problem anzugehen? Wo und wie müsste das Gesetz gegebenenfalls verbessert werden?

Baerbock: Es muss unser aller Ziel sein, den Flächenverbrauch deutlich zu reduzieren. Deswegen setzen wir uns insbesondere für die die Innenentwicklung bei der Stadtentwicklung ein. Im Rahmen des Baulandmobilisierungsgesetzes der Bundesregierung haben wir umfassende Vorschläge in die parlamentarischen Beratungen eingebracht wie die Forderungen für gemeinwohlorientierte Bodennutzung, nutzungsgemischte Städte und Klimafolgenanpassungen.

Eichert: Würden Sie eine Pflicht zur Baulandschaffung für Kommunen und ein Verbandsklagerecht zur Durchsetzung der kommunalen Planungspflicht befürworten?

Baerbock: Nach unserer Einschätzung ist es für die Erfüllung kommunaler Aufgaben unerlässlich, dass die Kommunen personell besser ausgestattet werden. Ein Verbandsklagerecht fordern wir in diesem Zusammenhang nicht. Zumal es kein Recht auf Ausweisung neuer Baugebiete gibt. Die Kommunen müssen finanziell so aufgestellt werden, dass sie ihren Aufgaben auch nachkommen können. Die Bauämter brauchen ausreichend und qualifiziertes Personal. Um die Kommunen finanziell zu entlasten, setzen wir uns für die Einführung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ ein, aus der vor allem finanzschwache Kommunen Gelder erhalten sollen. Der Bund hat Förderprogramme aufgelegt, um gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Diese werden diesem Anspruch nicht gerecht. Wir wollen die Förderprogramme unbürokratischer gestalten, die geforderten Eigenanteile für finanzschwache Kommunen senken und die Kommunen hierzu gut beraten.

Eichert: Die Ursachen für die hohen Kosten von Neubauten und damit den höheren Neubaumieten sind teures Bauland, die ständig steigenden Anforderungen an Neubauten sowie die stark angestiegenen Baupreise. Wie würden Sie die Kosten für den Neubau reduzieren?

Baerbock: Die Preise für Bauland sind auf Rekordniveau und die Baukosten explodieren. Dabei ist der Trend nicht neu. Die Baukostensenkungskommission hat einige sehr gute Vorschläge gemacht, die von der bisherigen Bundesregierung leider weitestgehend ignoriert wurden. Wir brauchen mehr Effizienz und Digitalisierung, vieles liegt auf dem Tisch, nur wurde es nie angegangen. Das wollen wir ändern.

Eichert: Der Traum vom Eigenheim ist weit verbreitet. Nun sind verschiedentlich Forderungen aufgestellt worden keine Einfamilienhäuser mehr zuzulassen. Diese wurde mit Klimazielen und der höheren Ausnutzung von Bauland durch Geschosswohnungsbau begründet. Was halten Sie von solchen Forderungen und der Begründung dafür?

Baerbock: Jeder sollte die Möglichkeit haben, frei und seinen Bedürfnissen entsprechend zu wohnen. Ein Einfamilienhaus ist schlicht der Lebenstraum vieler Menschen. Zugleich müssen sich Kommunen natürlich mit der Frage von Flächenverbrauch und effizienter Nutzung von Wohnraum auseinandersetzen, besonders in Innenstädten, wo Wohnraum begrenzt und teuer ist.
Ich verstehe jeden und jede, der, die in die eignen vier Wände möchte. Daher unterstützen wir den Erwerb von Wohneigentum, indem wir die Kaufnebenkosten weiter senken und entsprechende Förderprogramme aussetzen. Wir wollen den Ländern ermöglichen, den Steuersatz der Grunderwerbssteuer zu senken und flexibel zu gestalten. Außerdem soll das Bestellerprinzip auch für Immobilienkäufe eingeführt werden, das bedeutet, dass nur noch der oder die den Makler bezahlt, der ihn auch beauftragt hat. Die Courtage soll zusätzlich deutlich reduziert werden, damit sie nicht zu noch höheren Kaufpreisen führt. Darüber hinaus wollen wir ein Programm "Jung kauft Alt" für leer- oder bestehende Gebäude in Dorf- oder Stadtkernen auflegen und den Mietkauf für selbstgenutztes Wohneigentum sowie Beteiligungen an Genossenschaften und Mietshäusersyndikaten unterstützen.

Eichert: Klimaschutz ist eine wichtige Aufgabe, hat aber in den letzten Jahren bereits deutlich mit zum Anstieg der Wohnkosten beigetragen. Wie stehen Sie dazu, energetische Modernisierungen aus CO2-Einnahmen zu fördern?

Baerbock: Wir wollen bis 2040 alle Wohnungen und Gebäude so klimaneutral umbauen oder bauen, dass sie CO2 speichern statt ausstoßen. Dazu haben wir Konzepte vorgelegt – für eine ökologische und nachhaltige Bauwende, eine erneuerbare Wärmeversorgung und für faire Kostenverteilung. So zeigen wir, wie jede und jeder beim Wohnen Energie sparen oder in erneuerbare Wärme und Niedrigstenergiehäuser investieren kann. Insgesamt wollen wir die Mittel für die Wärmewende um fast drei Milliarden auf sieben Milliarden erhöhen.

Eichert: Im oder auf dem Haus erzeugter Ökostrom den Mietern in Rechnung zu stellen ist vom Gesetzgeber nicht gerade einfach ausgestaltet. Was halten Sie davon dies radikal zu vereinfachen und dem Vermieter die Abrechnung von Solarstrom unbürokratisch über die Betriebskostenabrechnung zu ermöglichen?

Baerbock: Wir wollen, dass von der Energiewende möglichst viele profitieren und es möglichst unbürokratisch zugeht. Deshalb werden wir Bürger-Projekte bei Wind- und Solarparks besonders fördern und alle europarechtlich garantierten Möglichkeiten für Bürger-Energiegemeinschaften vollumfänglich ausschöpfen. Die Kommunen beteiligen wir verbindlich an den Einnahmen aus den Erneuerbaren-Anlagen, sodass gerade der ländliche Raum von den Gewinnen profitiert. Zudem wollen wir Mieterstrom fördern, entbürokratisieren und so weiterentwickeln, dass Mieter stärker vom Ausbau der Erneuerbaren profitieren.

Eichert: Lebendige Innenstädte haben eine große Bedeutung für die Attraktivität und Lebensqualität von Städten. Die Entwicklungen der Coronapandemie haben den Innenstädten zusätzliche Probleme bereitet. Wäre der Erlass von Grund- und Gewerbesteuer für Innenstadtlagen, die besonders vom Attraktivitäts- und Funktionsverlust betroffen sind, für Sie ein Instrument, um für Eigentümern einen Anreiz für Investition in ihre Immobilie und damit der Wiederbelebung der Innenstädte zu schaffen? Welche anderen Anreize würden Sie zusätzlich oder stattdessen schaffen wollen?

Baerbock: Die Lage in vielen Innenstädten ist nicht einfach – und dabei sind lebendige Innenstädte, in denen die Menschen leben, bummeln, im Café an der Ecke Kuchen essen und es gemeinsame öffentliche Räume gibt, so wichtig für unser Zusammenleben. Wir haben daher ein Konzept zur Rettung der Innenstädte vorgelegt. Dafür wollen wir einen Städtebau-Notfallfonds in Höhe von 500 Millionen Euro auflegen, um Kommunen die Möglichkeit, die Situation in den Innenstädten zu verbessern – was genau eine Stadt braucht, was am besten für sie ist, wissen natürlich nur die Kommunen selbst. Es gilt, gegen den Leerstand anzuarbeiten, dazu sollte der Immobilien- und Bodenkauf durch Kommunen gestärkt werden. Mit neuem Gewerbemietrecht wollen wir auch das Kleingewerbe schützen.

Eichert: Was halten Sie von einem Aufstocken der Städtebauförderung auf mindestens 1,5 Milliarden Euro und einer Stärkung der Programme „Lebendige Zentren“ und „Wachstum und nachhaltige Erneuerung?“

Baerbock: Die Städtebauförderung muss dringend neu angepasst werden. Städte müssen inklusiv, sicher und nachhaltig ausgerichtet sein. Wir wollen die Schwerpunktthemen der Städtebauförderung daher im Sinne nachhaltiger, integrierter Stadtentwicklung erweitern und die Digitalisierung zur Erfüllung dieser Zwecke förderfähig zu machen. Für die riesigen Herausforderungen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung kann die Digitalisierung eine große Chance sein, die wir nutzen sollten. Auch haben finanzschwache Kommunen, die am meisten Mittel der Städtebauförderung des Bundes brauchen, nach wie vor Probleme, die Kofinanzierung aufzubringen und können die Mittel daher nicht nutzen. Das sollte bei der Neuausrichtung der Städtebauförderung endlich abgestellt werden.

Eichert: Wie stehen Sie zu einem Förderbonus für Städte und Gemeinden, die in Fördergebieten verstärkt Projekte mit kleinteiliger Eigentümerstruktur durchführen oder das Ziel haben eine kleinteilige Eigentümerstruktur in diesen Gebieten zu schaffen?

Baerbock: Wir wollen einen vielfältigen Wohnungs- und Immobilienmarkt. Nur vielfältige Wohnungsmärkte sind attraktiv und krisensicher. Das ist übrigens auch ein Grund, warum Deutschland so gut durch die Bankenkrise gekommen ist. Jede Kommune vor Ort soll entscheiden, was für sie das Beste und Attraktivste ist.

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